Linux ist subversiv. Wer hätte auch vor nur fünf Jahren (1991)
gedacht, dass sich ein Betriebssystem der Spitzenklasse wie durch
Zauberei materialisieren könnte, geschaffen von Tausenden über den
ganzen Planeten verstreuten Nebenerwerbs-Hackern, die durch die eng
verwobenen Stränge des
Internets verbunden sind?
Ich sicher nicht. Zu dem Zeitpunkt, als Linux
1993 auf meinem
Radarschirm auftauchte, hatte ich bereits zehn Jahre in der Unix- und
Open Source-Entwicklung verbracht. Mitte der Achtziger war ich einer
der ersten Beitragenden zu GNU.
Ich hatte bereits umfangreiche Open
Source-Software im Internet veröffentlicht, die ich selbst entwickelt
oder mitentwickelt hatte
( nethack,
Emacs VC (Version Control) und GUD modes, xlife und
andere) und die heute noch viel verwendet wird.
Ich dachte, ich wüsste, wie es gemacht wird.
Dann stellte Linux alles in Frage, was ich zu wissen glaubte. Ich
hatte das Unix-Evangelium der kleinen Tools, des
rapid prototyping
und der inkrementellen Verbesserung seit der ersten Stunde verbreitet.
Ich glaubte aber auch, dass es eine bestimmte kritische
Komplexitätsstufe gebe, ab der ein zentralisierterer Ansatz mit sehr
genauer Vorausplanung erforderlich wird. Ich glaubte, dass die
wichtigste Software (Betriebssysteme und wirklich umfangreiche Tools
wie Emacs)
so gebaut werden müssten wie Kathedralen, sorgsam gemeißelt
von einzelnen Druiden oder kleinen Teams von Hohepriestern, die in
totaler Abgeschiedenheit wirkten und keine unfertigen Beta-Freigaben
veröffentlichen dürften.
Linus Torvalds
Entwicklungsstil auf der anderen Seite - mit seinen
frühen und häufigen Freigaben, seinem Delegieren von allem, was nur
irgendwie möglich ist, und der an Promiskuität grenzenden Offenheit -
war eine echte Überraschung. Es handelte sich nicht gerade um eine
stille und ehrfurchtsvolle Tätigkeit, wie der Bau einer Kathedrale
eine ist -- stattdessen schien die Linux-Gemeinde ein großer, wild
durcheinander plappernder Basar von verschiedenen Zielsetzungen und
Ansätzen zu sein (alles sehr treffend durch die Linux-Archivsites
repräsentiert, die Beiträge von *jedem* nehmen), der ein kohärentes
und stabiles System wohl nur durch eine Reihe von Wundern
hervorbringen konnte.
Die Tatsache, dass der Basar zu funktionieren schien, und zwar sehr gut
zu funktionieren schien, war ein ausgesprochener Schock. Während ich
lernte, mich in dieser neuen Umgebung zurechtzufinden, arbeitete ich
nicht nur angestrengt an eigenen Projekten, sondern versuchte auch zu
verstehen, warum die Linux-Welt sich nicht nur nicht einfach in
völliger Konfusion auflöste, sondern an Durchschlagskraft immer weiter
zulegte und eine Produktivität ausbildete, die für die Erbauer einer
Software-Kathedrale kaum vorstellbar gewesen ist.
Mitte 1996 dachte ich, dass mir ein genaueres Verständnis dämmerte.
Durch Zufall bekam ich eine ausgezeichnete Gelegenheit, meine Theorie
zu testen, und zwar in Form eines Open Source-Projekts, das ich bewusst
im Basar-Stil abwickeln konnte. Das tat ich dann auch -- und es wurde
ein bedeutender Erfolg.
Dies ist die Geschichte dieses Projekts. Ich verwende es, um einige
Aphorismen über effektive Open Source-Entwicklung vorzustellen. Nicht
alle davon erfuhr ich als erstes in der Linux-Welt, ich werde aber auf
Beispiele aus der Linux-Welt zurückgreifen, um bestimmte Punkte zu
illustrieren. Wenn ich damit richtig liege, werden sie helfen zu
verstehen, warum gerade die Linux-Gemeinde zu so einem steten Quell
guter Software geworden ist -- und vielleicht auch, wie Sie selbst
produktiver werden können.
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